Künstliche Intelligenz in der Pflege
Inhaltsverzeichnis
Was versteht man unter Künstlicher Intelligenz?
Ist eine Maschine dazu fähig, bestimmte Fähigkeiten wie logisches Denken, Planen, Kreativität sowie Lernen eines Menschen zu imitieren, nennt man dies „Künstliche Intelligenz“ (kurz KI).
KI hilft, bestimmte Probleme zu lösen um gewisse Ziele zu erreichen. Sie schafft Möglichkeiten für technische Systeme, ihre Umwelt wahrzunehmen und mit dem Wahrgenommenen umzugehen.
Beispiele dafür sind Gesichtserkennung, Chat-GPT und Roboter wie der Assistenzroboter temi.
Wie nutzen Assistenzsysteme Künstliche Intelligenz?
Den Assistenzroboter temi setzen wir zum Beispiel in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen ein. Wenn es Zeit für die Medikamentenausgabe ist, fährt temi die einzelnen Bewohnerzimmer an. In den jeweiligen Zimmern leuchten Lampen auf. Diese signalisieren den Bewohner:innen, dass der Assistenzroboter temi eine Durchsage macht. Die Bewohner öffnen die Türen und temi teilt ihnen mit, dass sie sich zur Medikamentenausgabe am Stationszimmer einfinden sollen. Auf diese Weise spart das diensthabende Betreuungspersonal Wege und kann diese zusätzliche Zeit und Kraft für andere wichtige Aufgaben verwenden.
Düstere Aussichten für die Pflege
Aktuell ist das demographische Bild im Wandel. In nicht allzu ferner Zukunft wird es weitaus mehr ältere als junge Menschen geben. Glaubt man wissenschaftlichen Prognosen, wird der Prozentsatz der Pflegebedürftigen in der Langzeitpflege von 2015 bis 2055 signifikant um 70 % steigen. Aus heutiger Perspektive gibt es keine Ansätze, wie zukünftig qualitativ hochwertige Pflege leistbar sein soll. Neue Technologien können und müssen hier Wegweiser sein. Die Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann betont, dass Technik einen Beitrag dazu leisten kann, sowohl Selbstständigkeit als auch Selbstbestimmung von pflegebedürftigen Personen im Alltag zu erhöhen und gleichzeitig die Pflege zu erleichtern. Dadurch findet eine erhebliche Entlastung des Pflegepersonals statt.
Bei PureSec haben wir dieses Problem schon lange erkannt und entwickeln unter dem Label PureLife Produkte und Lösungen, Pflege und Betreuung von alten und hilfsbedürftigen Menschen zu unterstützen, Routineaufgaben auf Assistenzsysteme zu übertragen und so dem Pflegepersonal mehr Zeit und Ressourcen für wichtigere Aufgaben zu geben.
Bei der Suche nach Lösungen sind wir nicht allein.
Wolf-Ostermann hat das Potential von mobilen Assistenz- und Unterstützungssystemen für künftige Senioren erkannt. Ihr Team von Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen rief 2009 das Bremen Ambient Assisted Living Lab, kurz BAALL, ins Leben.
Die Fragestellung lautete: Wie alltagstauglich sind heutige mobile Assistenz- und Unterstützungssysteme und inwiefern erleichtern sie das tägliche Leben der älteren Generation?
Unter dem BAALL ist eine Musterwohnung zu verstehen, die, je nach den individuellen Bedürfnissen ihrer Bewohner:innen, variabel gestaltbar ist. Beispiele hierfür sind automatisch höhenverstellbare Küchenschränke und ein intelligenter Kleiderschrank, der bei der Kleidungsauswahl hilft. Zusätzlich wurden Rollstühle sowie Rollatoren mit einer speziellen Sensorik ausgestattet.
Wolf-Ostermann beschäftigt sich in Ihrer Forschungsarbeit vor allem mit der Verknüpfung von Technik und realer Versorgung. Sie erforscht dabei die neuesten Anwendungsmöglichkeiten von Technik. Dabei ist ihr vor allem der menschliche Aspekt äußerst wichtig. Insbesondere die Sichtweise der Betreuer:innen sei hierbei von zentraler Bedeutung. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Pflege zu Hause oder in einer Einrichtung stattfinde. Das sehen wir bei PureSec genauso. Wir entwickeln unsere Produkte in enger Zusammenarbeit mit Experten aus der Pflegepraxis, Angehörigen und Wissenschaftlern des Forschungszentrums FUTURE AGING der Frankfurt University of Applied Sciences.
Um das Ziel einer gelungenen Interaktion zwischen Menschen und Maschinen zu erreichen, so Wolf-Ostermann, sei es unvermeidbar, alle Personen mit einzubeziehen.
„Hier liegt eine Menge Arbeit vor uns.“
Karin Wolf-Ostermann.
Mit diesem Zitat bezieht sich Wolf-Ostermann auf die Beantwortung folgender Fragen, die umfangreiche Forschungen nach sich ziehen: Wo ist der Einsatz von KI sinnvoll? Welche Grenzen gibt es? Was ist moralisch vertretbar?
Datenschutz
Gerade was den Datenschutz anbelangt, gibt es viele Anforderungen zu beachten und Hindernisse zu überwinden. Datenschutz ist natürlich sehr wichtig. Schließlich werden es je nach Projekt durchaus sensible Daten verarbeitet. Da sind eine umfängliche, verständliche Vorabinformation und das Einholen entsprechenden Einverständniserklärungen von allen Beteiligten absolut notwendig und eine Selbstverständlichkeit.
Wichtig ist aber auch, Produkte von Anfang an so zu entwickeln, dass Datenschutzrechte eingehalten werden und die Verarbeitung sensibler Daten auf das notwendige Minimum beschränkt bleibt. In der Produktentwicklung bei PureSec wird Datenschutz von Anfang an mitgedacht und ist integraler Bestandteil jeder Innovation. Zusätzlich wir vor dem Einsatz von Produkten, die personenbezogene Daten verarbeiten, immer auch ein Ethikvotum eingeholt. So wurden vor dem Einsatz des Assistenzroboters temi in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen von allen Mitarbeitern und Klient:innen, die mit dem Roboter in Berührung kommen, eine Einverständniserklärung zur Verarbeitung ihrer Daten eingeholt. Unbeteiligte Dritte, z.B. Handwerker, die zufällig Arbeiten in der Einrichtung verrichten, werden durch Hinweisschilder auf ein mögliches „Mithören“ von Gesprochenem hingewiesen, und selbstverständlich auch auf Möglichkeiten, dies zu unterbinden, indem man z.B. temi einfach wegdreht und vor eine Wand stellt. Die Anwendung ist nämlich so konfiguriert, dass temi dann nicht mehr zuhört und weder Ton noch Kamerabilder verarbeitet.
„Der Mensch ist und bleibt unverzichtbar“
Die Pflegewissenschaftlerin Karin Wolf-Ostermann hat eine klare Meinung zum Verhältnis Mensch-Maschine in der Pflege: „Keine Technik kann und darf menschliche Zuwendung in der Pflege ersetzen. … Keine technische Lösung sollte jemals mehr als ein unterstützendes Werkzeug sein. Der Mensch ist und bleibt unverzichtbar“.
Dem stimmen wir 100%ig zu. Wir entwickeln unsere PureLife Produkte so, dass sie Pflege- und Betreuungskräfte bei ihrer schweren Arbeit unterstützen, dass sie Pflegebedürftigen Erleichterung und Hilfe in Situationen bieten, wo keine Pflegekraft da ist. Wir wollen und können keine Menschen ersetzen, aber wir können mehr Zeit für echte menschliche Zuwendung schaffen. Menschenwürdige Pflege lässt sich nicht auf existenzielle Dinge wie Waschen und Lebensmittel anreichen reduzieren, aber diese Tätigkeiten können durch Technik erleichtert werden. Und Technik kann mehr Gelegenheiten für menschliche Begegnung schaffen, z.B. durch Angebote von Videotelefonie und Telemedizin.
Ein historisches Experiment
Im 13. Jahrhundert benutzte Kaiser Friedrich II. eine ausgewählte Gruppe von Säuglingen, um herauszufinden, welche Sprache diese im späteren Kindesalter sprechen würden. Seine Vermutung lag bei Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Arabisch oder der Sprache der Eltern. Allerdings erreichten die Kinder nie ein Alter, in dem sie Sprechen lernen konnten. Sie starben bereits als Säuglinge, da ihnen jegliche Zuwendung verwehrt wurde. (Quelle: Reto U. Schneider; 30.07.2014)
Wo können technische Systeme sinnvoll eingesetzt werden?
Dieses Experiment beweist, dass menschliche Zuwendung nicht ersetzbar ist. Im Gesundheitsbereich sieht man sich jedoch folgenden Problemen gegenüber: Es herrscht akuter Fachkräftemangel, weshalb der Pflegealltag meist wenig Spielraum lässt, um Aufgaben zu erledigen, die über den vorgeschriebenen Versorgungsauftrag hinausgehen. Doch gerade was Routineaufgaben angeht, sind Roboter hilfreich. Im Beispiel von Wolf-Ostermann durch das Anreichen von Getränken, bei PureLife erinnert temi z.B. an das Einnehmen von Medikamenten.
Genauso wie junge Leute wollen auch alte Menschen unterhalten werden, umso mehr, wenn der Arbeitsalltag wegfällt. Das Personal hat selten Zeit für z.B. eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“. Der Assistenzroboter temi von PureLife hingegen hat, wann immer der Klient es wünscht, Zeit für eine Unterhaltung. Es können auch Rätselspiele in verschiedenen Bereichen wie Natur, Tiere, Musik, etc. gespielt werden. Das dient nicht nur der Ablenkung, sondern fördert gleichzeitig das kognitive Denken. Auf Wunsch kann temi das Lieblingslied eines Klienten abspielen. Das muntert auf. Eine Klientin macht mit temi z.B. regelmäßig Gymnastikübungen. Temi ist also gleichzeitig Motivator, Lehrer, Begleiter und Freund. Natürlich ersetzt temi keinen Menschen, aber der kleine Roboter ist ihr so ans Herz gewachsen, dass sie diesen sehr gerne bei sich hat und ihn nur ungern teilt.
Im Alltag von psychisch kranken Menschen hat es sich bewährt, Erklärvideos abzuspielen. Vergisst ein Klient beispielsweise, wie die Waschmaschine bedient oder eine Gurke geschnitten wird, kann hier ein Video gezeigt werden. Ohne den Assistenzroboter temi müsste der Patient seinen Betreuer fragen, der nach dem fünften Mal wahrscheinlich gereizt reagiert. Das ist weder für den Pfleger noch den Klienten förderlich.
Effektive Beratungshilfe für das Pflegepersonal
Im sozialen Bereich z.B. gibt es viele Anlaufstellen für Beratung, Lokale zum Treffen sowie zahlreiche Unterstützungsangebote. Das Problem ist, dass die meisten hilfebedürftigen Menschen nicht wissen, wo sie Hilfe und Kontakte finden. Um diese Lücke zu schließen, sind Sozialarbeiter da, leider viel zu wenige.
Genauso sieht es im Gesundheitswesen laut Wolf-Ostermann aus. Möglichkeiten Hilfe zu finden sind genug vorhanden. Für Außenstehende sind diese Angebote jedoch meist unüberschaubar. Angehörige sowohl als auch Betroffene sehen sich oft nicht in der Lage, sinnvolle Angebote herauszufinden. Genauso unklar ist die Finanzierung. Dies sind nur Beispiele der Themen, deren Bearbeitung Angehörige in der Regel hilflos gegenüberstehen. Auch hier kann Künstliche Intelligenz ihren Beitrag leisten, indem sie geeignete Angebote für Betroffene und Angehörige herausfiltert.
Wolf-Ostermann ist sich sicher, dass selbst professionelle Pflegekräfte in komplexen Entscheidungssituationen auf KI-Systeme zurückgreifen könnten. Dies sei möglich da die KI darauf ausgelegt ist, wiederkehrende Muster sofort zu erkennen. Dadurch würden der Pflegekraft in Sekundenschnelle bedeutende Informationen aus der Fachliteratur zugänglich. Erfahrungswerte würden aus vergleichbaren Pflegeszenarien entnommen. An entsprechenden Systemen wird bereits fieberhaft entwickelt. Wolf-Ostermann betont aber auch, dass die letzte Entscheidung immer der Mensch treffen muss.
Obwohl der Einsatz technischer Systeme im Pflegealltag eine enorme Erleichterung darstellt, hält sich das Interesse beim Pflegepersonal in Grenzen. Karin Wolf-Ostermann hat aber beobachtet, dass das Vertrauen in KI insgesamt wächst. Auch nach unserer Erfahrung ist es für die Technikakzeptanz entscheidend, die betroffenen Berufsgruppen von Anfang an in die Produktentwicklung einzubeziehen. Schließlich sind das die Experten, die am besten wissen, was sie zur Unterstützung tatsächlich benötigen.
Beim Einsatz unserer PureLife Assistenzsysteme erleben wir wie Wolf-Ostermann immer wieder eine gewisse Skepsis gegenüber Assistenzsystemen. Gründe dafür mögen darin liegen, dass man es hier mit etwas künstlichem, dennoch menschenähnlichem zu tun hat, was auf den ersten Blick für Laien schwer einzuordnen ist.
Hier besteht dringender Nachholbedarf im Ausbildungssystem. Beim Besuch einer Pflegeschule wurde deutlich, dass die Auszubildenden wenig bis gar nicht von technischen Systemen in der Pflege gehört hatten. Einzig eine Sturzmatte war allgemein bekannt. Moderne Sturzerkennungssysteme wie z.B. der Anwesenheits- und Sturzsensor Vayyar Care waren keinem Pflegeschüler bekannt, obwohl sie nicht nur effektiver, sondern auch noch preisgünstiger sind. Hier muss dringend eine Veränderung stattfinden bei Universitäten, Schulen, Kliniken und Pflegediensten.
Ausgangspunkt könnte die oben angeführte Zukunftsprognose sein. Sie zeigt auf, welch ein bedrohliches Szenario uns erwartet , wenn wir nicht anfangen neue Möglichkeiten auszuprobieren und zu nutzen. Ein mittelalterliches Denken, was alles Neue verteufelt, wird in schon wenigen Jahrzehnten auch mittelalterliche Zustände hervorrufen.
Sandra Bender