Sturzangst – ein Teufelskreislauf

Generell sind Ängste und insbesondere Sturzängste bei älteren Menschen ein häufiges Phänomen. Diese Angst kann zu einer Einschränkung der Aktivitäten des täglichen Lebens führen, was wiederum das Risiko zu stürzen erhöht.

Schätzungen zufolge stürzen etwa ein Drittel der über 65-Jährigen und etwa die Hälfte der Über-85-Jährigen einmal pro Jahr.

Bei Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, stürzen Bewohner einmal pro Jahr. Davon müssen 10-20 %  ärztlich behandelt werden. 1

Was bezeichnet man als Sturzangst?

Es ist eine emotionale Reaktion (subjektives Gefährdungsgefühl) meist älterer Menschen auf das Sturzrisiko und bezieht sich auf die Angst, zu stürzen und sich dabei zu verletzen.

Dabei ist die Sturzangst häufig nicht nur eine Folge von Stürzen, begünstigt allerdings, dass man erst recht stürzt. Auch ältere Menschen ohne Stürze in der Vorgeschichte können eine ausgeprägte Sturzangst entwickeln und aufweisen.

Wer ist betroffen?

25 bis 50 % aller Älteren besonders im häuslichen Umfeld leiden mehr oder weniger stark unter Sturzangst, und zwar unabhängig davon, ob sie schon einmal gestürzt sind.1

Allerdings ist anzumerken, dass Stürze bei älteren Menschen nur selten eine einzige Ursache oder einen Risikofaktor haben.

Allerdings wurde in Studien beobachtet, dass Sturzangst die Wirkung anderer Risikofaktoren erhöht bzw. zusätzliche Risikofaktoren hervorrufen kann.2

Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Angst- und Demenzerkrankungen gibt es noch wenige Daten. Offensichtlich ist es jedoch ähnlich wie der Zusammenhang mit der Depression. Bei bestehender Demenz ist die Diagnose einer Angsterkrankung allerdings schwierig zu stellen. Denn Unruhezustände sind zum Teil schwer zuzuordnen.5

Was sind Risiken und Folgen von Sturzangst?

Personen mit Sturzangst schränken ihre Mobilität in den eigenen vier Wänden und außerhalb nach und nach ein. Sie verzichten auf Dinge des täglichen Lebens und geben Aktivitäten auf. Sie verkleinern ihren Aktionsradius immer weiter.  Sie nehmen immer seltener am sozialen Leben teil und haben zunehmend Probleme, ihren Alltag zu bewältigen. Dadurch isolieren sie sich und verlieren an Lebensqualität. Außerdem nimmt ihre physische Leistungsfähigkeit ab, und ihre Muskelkraft lässt nach. Infolgedessen erhöht sich ihr Sturzrisiko, sie stürzen häufiger und schwerer, und ihre Sturzangst wird noch größer. Ein Teufelskreis also.

In einer Studie mit 411 Patienten aus der Innerschweiz erlitten innerhalb eines Jahres 15,5 % einen oder mehrere Stürze. 39,7 % berichteten von ihrer Angst davor.3

Teufelskreis Sturzangst bei Senioren
Teufelskreis Sturzangst bei Senioren

Was tun gegen die Sturzangst?

Um den Teufelskreis zu durchbrechen, muss sowohl an der Sturzangst als auch an der körperlichen Verfassung angesetzt werden. Beides sollte Hand in Hand gehen und so eingeübt werden, dass sich die Betroffenen nach dem angeleiteten Training selbst behelfen können. Die Sturzangst lässt sich mithilfe psychologisch-psychotherapeutischer Verfahren angehen. Verfahren, die sich bei der Behandlung von Angststörungen als wirksam erwiesen haben wie etwa die kognitive Verhaltenstherapie, können bei Sturzangst gute Dienste leisten, zumal noch keine spezifische Sturzangstintervention entwickelt wurde.

Fatal ist, dass Medikamente, die die Angst mindern sollen, wie Antidepressiva, Antipsychotika und auch Benzodiazepine, das Sturzrisiko etwa um den Faktor 1,5 erhöhen. Deshalb sollte die Behandlung idealerweise ausschließlich psychotherapeutisch erfolgen.

Darüber hinaus ist es unerlässlich, dass der Betroffene selbst motiviert ist, seine Sturzangst zu reduzieren, um einerseits das Sturzrisiko zu senken und andererseits noch lange von einer zufriedenstellenden Mobilität und Lebensqualität profitieren zu können.

Entsprechend evidenzbasierter Beobachtung können installierte Assistenzsysteme, welche Stürze erkennen, die Sturzangst reduzieren

Warum ist eine zeitnahe Versorgung nach einem Sturz wichtig?

Eine schnelle Versorgung nach einem Sturz bei Senioren ist besonders wichtig, da ältere Menschen aufgrund von Alterungsprozessen, chronischen Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen ein erhöhtes Risiko haben, schwerwiegende Verletzungen zu erleiden.

Die Auswirkungen eines Sturzes können von leichten Verletzungen wie Prellungen und Schürfwunden bis hin zu schweren Verletzungen wie Knochenbrüchen, Kopfverletzungen oder sogar inneren Blutungen reichen.

10-20% der Stürze gehen mit behandlungsbedürftigen Verletzungen einher. 5% der Stürze führen zu Knochenbrüchen, und 1-2% Prozent zu Hüftfrakturen.1

Eine schnelle Versorgung nach einem Sturz bei Senioren ist wichtig, um Verletzungen zu minimieren, Komplikationen zu vermeiden, die Genesung zu beschleunigen und das psychologische Wohlbefinden der betroffenen Person zu verbessern.

Sturzerkennungssysteme wir beispielsweise der Vayyar Home Sensor meldet einen Sturz an Notfallkontakte und/oder Notrufzentrale.

Thomas Katzenmeier

Quellen

1 https://www.aerzteblatt.de/archiv/169185/Sturzangst-Nur-interdisziplinaer-behandelbar

2 Sturzprophylaxe bei älteren Menschen in ihrer persönlichen Wohnumgebung, https://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta255_bericht_de.pdf

3 https://www.doctors.today/a/traumata-beim-geriatrischen-patienten-frakturversorgung-allein-reicht-nicht-2012660

4 Herrmann C, Buss U, Snaith RP (1995) Hospital Anxiety and Depression Scale – Deutsche Version (HADS-D). Manual. Bern: Hans Huber

5 Wolitzky-Taylor KB, Castriotta N, Lenze EJ, Stanley MA, Craske MG (2010) Anxiety disorders in older adults: a comprehensive review. Depress Anxiety 27: 190-211

Thema Sturz – Statistische Erhebung

Was versteht man unter einem Sturz oder Sturzereignis in der Pflege?

Ein Sturz ist gemäß Definition im Expertenstandard1 ein Ereignis, bei dem der Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt.

Das heißt, es handelt sich um ein plötzliches, unfreiwilliges und unkontrolliertes Herunterfallen oder -gleiten des Körpers auf eine tiefere Ebene aus dem Stehen, Sitzen oder Liegen.

Es sind auch solche Sturzereignisse eingeschlossen, bei denen die Person z.B. in der Hocke oder im Sitzen aufkommt.

Stürze sind eines der größten gesundheitlichen Probleme älterer Menschen, da sie eine Vielzahl von Verletzungen und weiteren Komplikationen hervorrufen können.


1Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Personen aus der Pflegepraxis, der Pflegewissenschaft und dem Pflegemanagement. DNQP forscht und entwickelt Expertenstandards, trägt somit zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Pflege bei.

Wie oft ereignen sich Unfälle mit Todesfolgen und wo?

Insgesamt verunglückten im Jahr 2019 rund 27.000 Menschen tödlich in Deutschland zu Hause und in der Freizeit. Davon fast die Hälfte (ca. 45%) im Haushalt.

Der Sturz ist die häufigste Unfall- und Todesursache im Haushalt. Betroffen sind vor allem ältere Menschen mit einem Anteil von über 81% aller tödlich Verunglückten im Haushalt.

Andere Unfallarten wie Ersticken, Vergiftungen oder Ertrinken spielen bei den tödlichen häuslichen Unfällen nur eine geringe Rolle.

2019 starben laut Deutsches Kuratorium für Sicherheit in Heim und Freizeit e.V. (DSH) in Deutschland 12.436 Menschen durch einen Haushaltsunfall. Die Zahl der tödlichen Hausunfälle steigt jährlich – 500 mehr als im vergangenen Jahr und 3.761 mehr im Vergleich zum Jahr 2013. Grund hierfür dürfte das steigende Durchschnittsalter der Deutschen sein.

Folgendes Schaubild zeigt die Art und Anzahl der tödlichen Haushaltsunfälle im Jahr 2019.

Tödliche Haushaltsunfälle im Jahr 2019
Tödliche Haushaltsunfälle in 2019

Wieviel Seniorinnen und Senioren sterben durch Stürze?

10.750 Personen verstarben im Jahr 2019 laut DSH an einem Sturz in Deutschland.

Überwiegend stürzen Senioren in den eigenen vier Wänden und im heimischen Umfeld. Der Sturz stellt somit das höchste Todesfallrisiko im häuslichen Umfeld dar.

Die Sturz- und damit die Verletzungsgefahren nehmen mit zunehmenden Alter stark zu, oft mit tödlichem Ausgang.

Folgendes Schaubild zeigt wie sich die Stürze mit Todesfolge im Jahr 2019 auf die einzelnen Altersgruppen aufteilen.

Tödliche Stürze in 2019

In welchem Wohnumfeld stürzen Senioren?

In Deutschland stürzen weit mehr als fünf Millionen Seniorinnen und Senioren mindestens einmal pro Jahr und dies aufgrund der demographischen Entwicklung mit zunehmender Tendenz.

  • Studien gehen davon aus, dass von den über 65-Jährigen 30 von 100 Personen der Zuhause lebenden Senioren immerhin einmal pro Jahr stürzen,
  • wiederum etwa ein Viertel dieser Menschen stürzen meist dreimal pro Jahr,
  • von 100 der über 80-Jährigen stürzen über 40 Senioren einmal pro Jahr,
  • bei Bewohnern von Pflegeheimen ist das Sturzrisiko besonders hoch, hier stürzt mehr als die Hälfte der Senioren mindestens einmal im Jahr,
  • in der ambulanten Pflege stürzt jeder zehnte Pflegebedürftige innerhalb von 2 Wochen einmal.2


2. Siehe Studie „Pflegerelevante Gesundheitsprobleme in der ambulanten Pflege und Versorgung“ vom 22.03.2017, https://link.springer.com/article/10.1007/s00391-017-1215-5

Ist das Sturzrisiko bei Frauen und Männer unterschiedlich?

Der Anteil der tödlichen Sturzunfälle am gesamten Unfallgeschehen steigt mit zunehmendem Alter.

Im Laufe der Lebenszeit gleicht sich die Sturzhäufigkeit zwischen Frauen und Männer an.

Bis zu einem Alter von 75 Jahren verunfallen und sterben nach Stürzen männliche Mitbürger häufiger.

Ab dem 85. Lebensjahr sterben Seniorinnen häufiger an Sturzfolgen wie sich an den folgenden statistischen Zahlen aus dem Jahr 2019 ablesen lässt.

Tödliche Stürze 2019 nach Altersgruppen
Tödliche Stürze 2019 nach Altersgruppen

Bei den Hochbetagten, welche 85 Jahre alt und älter sind, ist die Zahl der tödlich verunfallten Frauen um rund 1,7-mal höher als die der Männer.

Fazit

Wir leben länger. Mit zunehmender Lebenserwartung nehmen unsere körperlichen und geistigen Fähigkeiten ab. Dies erhöht die Sturzgefahr im Alter.

Die statistisch erhobenen Zahlen zeigen, dass die Zahl der tödlich verlaufenden Stürze im Alltag zunimmt. Fast 50% aller tödlich verlaufenden Unfälle resultieren aus einem Sturz.

Somit ist die Sturzthematik von zentraler Bedeutung im Leben unserer Gesellschaft. Die Vermeidung von Stürzen (Sturzprophylaxe) und die Minimierung von Sturzfolgen (frühzeitige Sturzerkennung) sind zwei zentrale Aufgaben um Unfälle mit tödlichem Ausgang zu reduzieren.

Mit einem größeren Anteil älter werdenden Menschen bedarf dieser Sachverhalt einer besonderen Aufmerksamkeit und Entwicklung von neuen Lösungen.

Thomas Katzenmeier